Warum empfinden wir eine anstehende Handlung oder Aufgabe oft als so mühselig?
Warum fühlt man sich oft zu träge, eine Aufgabe überhaupt erst anzugehen?
Warum schiebt man gerne Sachen auf die „Lange Bank“ anstatt sie gleich zu erledigen?
Das meiste, mit dem wir uns in unserem alltäglichen Leben beschäftigen, dient einem Zweck oder einem Ziel. Wir gehen einkaufen, damit wir genügend zum Essen zu Hause haben. Wir gehen arbeiten, damit die Haushaltskasse das Einkaufen und andere Ausgaben erst ermöglichen kann. Wir gehen in die Schule, damit wir für die Zukunft gewappnet sind, eine gute Ausbildung bekommen, um ein ordentliches Leben führen zu können.
Selbst in der spirituellen Szene finden wir Praktiken, die vermeintlich einem bestimmten Zweck dienen sollen. Wir können meditieren, um zu entspannen, zu regenerieren oder zur Erleuchtung zu gelangen …
Aber auch die kleinen alltäglichen Dinge machen wir meist nicht absichtslos. Wir putzen uns die Zähne, damit sie uns möglichst lange gesund erhalten bleiben. Wir nehmen Nahrung auf, um unseren Hunger zu stillen. Wir betreiben Körperhygiene, weil wir nicht unangenehm in der Gesellschaft auffallen wollen. Wir machen Sport, ernähren uns gesund, gehen in die Natur, um unser Immunsystem zu stärken …
Was machst du alles routinemäßig nur „um zu“ …?
Was wäre, wir ließen einen Tag lang das „um zu“ einfach mal weg?
Eine bevorstehende Handlung ausführen – nur um der Sache selbst willen.
Nur aus Neugierde und Freude an der Tätigkeit diese durchführen.
Wie geht das?
Ich habe heute den Versuch gewagt!
Meine Erkenntnisse möchte ich hier gerne mit dir teilen:
Wie kann ich an Aufgaben, die ich meist täglich routinemäßig ausführe, Gefallen finden?
Stelle dir vor, du machst das, was du machen möchtest, zum allerersten Mal
Du hast noch nie vorher deine Zähne geputzt. Also geh mit ganz viel Entdeckerfreude mit deiner Zahnbürste über deine Zähne. Du wirst Stellen in deinem Mund finden, die du noch nie bewusst wahrgenommen hast.
Du hast noch nie morgens einen Apfel in dein Müsli geschnitten. Überlege dir, wie du den Apfel waschen, evtl. schälen und zerteilen möchtest. Dann führe es ganz bewusst aus und beobachte dich dabei. Wie machst du es? Wie fühlt sich der Apfel an (kalt, zimmerwarm, nass, trocken, …)? In welcher Hand liegt das Messer? In welcher der Apfel? Wie hältst du den Apfel oder liegt er auf einem Brettchen? Wie entfernst du das Kerngehäuse? Wie zerkleinerst du den Apfel – in Scheibchen, in Spalten, in Würfel …?
Beim Essen dasselbe: Schau dir dein Frühstück erst bewusst an. Wie viele Farben kannst du erkennen? Wie voll ist deine Schüssel? Rieche einmal an deinem Essen. Welche Gerüche nimmst du wahr? Vielleicht sind diese auch mit Erinnerungen verbunden? Und dann schließ die Augen und schmecke ganz bewusst den ersten Kontakt deiner Nahrung, wenn sie in den Mund kommt. Was kannst du schmecken? Ist es eine einheitliche Geschmacksnote oder kannst du mehrere Geschmacksrichtungen entdecken?
Gib dem Tun mehr Aufmerksamkeit als dem gewünschten Ergebnis! Gib dem Moment deine ganze Aufmerksamkeit. Das kannst du allerdings nur, wenn du dich ganz auf ihn einlässt und ihn annimmst. Akzeptiere, was ist. Sobald du dich gegen den Moment stellst, wird dieser nicht deine volle Aufmerksamkeit bekommen können, weil etwas in dir woanders hinmöchte.
Übe die Tätigkeit auf eine andere Art und Weise aus
Beim Küchenboden-Fegen kam mir die Idee, weil ich mir zunächst nicht vorstellen konnte oder wollte, ganz bewusst zu fegen, den Besenstil einmal in die andere Hand zu nehmen. Also nicht meine dominante (rechte) Hand steuerte den Fegevorgang, sondern meine linke Hand bzw. der Arm.
Anfangs musste ich regelrecht überlegen und es ausprobieren, wie ich den Besen überhaupt halten musste, damit es spiegelbildlich zur gewohnten Haltung würde. Mehrmals habe ich den Besen mit vertrautem Griff gehalten, um mir die Position meiner Hände erst einmal bewusst zu machen – somit war ich also schon beim bewussten Fegen ? Mein Körper musste sich regelrecht neu organisieren in seiner Grob- und Feinmotorik.
Als ich die korrekte spiegelbildliche Handhaltung am Besenstil gefunden hatte, ging es los. Mit ungewohnt unrhythmischen und noch nicht so produktiven Bewegungen fegte der Besen über den Boden. Erst mal brachte es mich zum Schmunzeln und Erstaunen, wie anders sich so eine kleine Veränderung doch für den Körper anfühlen konnte. Außerdem kam ich viel langsamer voran, der Boden war lange nicht so sauber wie gewohnt und in die Ecken reinzukommen, war eine besondere Herausforderung! Immer wieder versuchte mein Gehirn, mich doch zum gewohnten alten Muster zurückzuführen, aber ich bleib standhaft.
Letztendlich war der Küchenboden gefegt, wenn auch in der doppelten Zeit als sonst, aber mit viel mehr Interesse und Begeisterung für die Tätigkeit an sich. Und vermutlich auch mit einem Zuwachs an Neuronen in meinem Gehirn – da unser Gehirn nun mal Herausforderungen liebt.
Bei meiner täglichen Tour durch den Wald überkam mich heute spontan die Lust – wohl auch durch die schönen Sonnenstrahlen hervorgerufen – eine bestimmte Runde noch ein zweites Mal zu gehen. Genau dieselbe Strecke gleich noch einmal – quasi wie in einem Sportstadion. Obwohl ich die erste Runde schon ganz aufmerksam gegangen bin, war die zweite Runde mindestens noch genauso interessant – andere Menschen kamen mir entgegen, neue Geräusche waren zu hören, Unebenheiten im Boden sind mir aufgefallen, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, die Steigung der Strecke schien mir auf einmal steiler zu sein als beim ersten Mal ….Und die Sonne hatte einen anderen Lichteinfall!
Derselbe Vorgang, dieselbe Wegstrecke und doch ganz anders!
Augenscheinlich macht es nicht unbedingt Sinn, denselben Weg zweimal zu gehen – es sei denn, man geht ihn als achtsamer Beobachter.
Durch achtsame Wiederholungen können wir empfänglicher für Sinneseinwirkungen werden, die das Alltagsbewusstsein oft ausblendet. Diese Eindrücke können dabei von außen oder auch tief von unserem Inneren kommen.
Wie die neue Putztechnik so war auch die doppelte Runde beim Waldspaziergang eine bewusste Durchbrechung eines routinemäßigen Ablaufes – mein Gehirn wurde anfangs irritiert, dann aber neugierig auf die ungewohnte Veränderung der Handlung. Dadurch entstehen Begeisterung und Freude für oder an einer Aufgabe.
Meine Quintessenz: Einen ganzen Tag lang absichtslos und bewusst zu verbringen ist eine echte Herausforderung, aber ja auch nicht zwingend notwendig – es sei denn man macht eben ein Experiment daraus.
Letztendlich geht es darum eine ausgewogene Balance zwischen Absichtslosigkeit und Zielorientierung für sich zu finden.
Die Absichtslosigkeit ist eine Art Lebenshaltung. Sie bringt die Chance, sich immer wieder in Abständen vom eigenen Tun zu distanzieren und sich zu fragen: „Mache ich das, was ich mache, mit Freude oder nur aus Routine?“ Und wenn zweites der Fall sein sollte, dann diese Tätigkeit mal genauer zu betrachten.
Als kleine Kinder waren wir alle absichtslos.
Wir konnten stundenlang in unserem Spiel versunken die Zeit vergessen und uns für Kleinigkeiten wie einen Stein oder ein Schneckenhaus am Wegesrand grenzenlos begeistern. Absichtslosigkeit pur!
Ich lade dich deshalb ein, in deinem Alltag ab und zu inne zu halten und dich im absichtslosen Tun zu üben. Lass alle Bewertungen, Erwartungen und Ziele los. Werde eins mit dem was du tust und mache es nur um der eigentlichen Sache willen.
„Sorge dich nicht um die Früchte deiner Handlungen – gib einfach der Handlung selber Beachtung. Die Früchte werden von alleine kommen.“ – Eckhart Tolle
Wenn du die Faszination der Absichtslosigkeit in dein Leben einlädst, spürst und erfährst du dich neu. Sie führt dich in dein Herz und ins Jetzt, so kannst du immer mehr bei dir selbst ankommen. Absichtslosigkeit lässt dich erkennen, dass es dir an nichts mangelt, dass du jetzt bereits schon vollkommen und ganz bist.
Dinge, die nicht deinem Herzensweg entsprechen, werden von selbst nach und nach wegfallen oder du kannst sie so ausführen, dass sie dich auf eine andere Art begeistern. Du wirst sehen, wie alles was du tust plötzlich eine ganz neue Tiefe und Kraft erhält, und du wirst lernen, mit dem Leben zu fließen statt Dinge zu planen oder zu erzwingen.
Das heißt nicht, dass du keine Ziele mehr hast. Aber du identifizierst dich nicht mehr über Resultate, Erfolge oder Versagen – weil du weißt, dass du das schon alles in dir trägst, was du zu erhoffen magst.
Lass dich überraschen, was passiert. Sei neugierig wie ein kleines Kind. Freue dich auf einen Weg voller Leichtigkeit!
In der Ortho-Bionomy® spielt die Absichtslosigkeit eine wesentliche Rolle innerhalb der Grundprinzipien dieser Behandlungsmethode
„Absichtslos sein“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „nichts tun“. Absichtslos bedeutet, dass ich eine (Be-)Handlung nicht kontrolliere und auf ein bestimmtes Ziel hinlenke. Es geht hier nicht um Manipulation oder Korrektur eines unerwünschten Zustandes, sondern um echte Aufmerksamkeit, die ich meinem Gegenüber schenke.
Ich nehme mich als Behandler zurück – trete einen Schritt zur Seite – und vertraue in die Selbstorganisationskräfte des menschlichen Organismus und stelle mich nicht über sie. Absichtslosigkeit ist im Sinne von Ergebnisoffenheit zu verstehen – somit beschränke ich nicht durch meinen begrenzten Fokus die Vielfalt an Lösungsangeboten des jeweiligen Systems und Unerwartetes darf geschehen.
Wenn du den Zauber der Absichtslosigkeit gerne einmal in meiner Praxis erfahren möchtest, dann freue ich mich über deine Kontaktaufnahme!
Bildnachweis:
eigene Bilder
Kinderhandbild von JenniferStr auf Pixabay